PHANTOMSCHMERZ

Was bleibt nach dem Verlust des Elternhauses? Schmerz, hervorgerufen durch den Anblick des Inventars eines veräußerten Gebäudes. Es sind die Reliquien mehrerer Generationen, die - mit Abstand betrachtet - entzaubern, ernüchtern, ja schmerzen.

Überbleibsel mehrerer Generationen und einer längst vergangenen Kindheit. Die Reste eines ehemals „prallen” Lebens wirken auf den unbeteiligten Betrachter wie „Sperrmüll”, abgestellt in einem chaotischen Keller. Hier wird jeder Besucher gnadenlos an seinen eigenen „Keller” erinnert und daran, dass die Zeit läuft, unaufhaltsam dem Zeitpunkt entgegen, an dem das Inventar des eigenen Lebens zur Müllhalde wird, dem Entrümpler zur Entsorgung preisgegeben.

Arbeiten

Der Anblick dieses „Sperrmülls” lässt die Schmerzen erahnen, die derjenige spüren mag, der vor den Resten seiner Kindheit und des Lebens seiner Vorfahren steht; oder aber den bitteren Beigeschmack der Erkenntnis, dass alles, was das eigene Leben in diesem Moment ausmacht, für Außenstehende nichts bedeutet, vielmehr kühl und emotionslos als lästiger Abfall betrachtet wird.

Endstation! Unschön ehrlich, alt, muffig, verstaubt ans Licht gerückt, sichtbar für alle. Nichts bleibt unter den Teppich gekehrt. Da ist die Brieftasche samt Angelschein und Jagdausweis des unbekannten Großvaters, da so früh von einem Betrunkenen totgefahren. In der Nähe

die Doktorurkunde des Großonkels, der als blutjunger Zahnarzt an der Front fiel. Das Foto des Paten, der schon im Alter von Mitte 30 an Krebs erkrankte und starb. Unzählige Taschenkalender, alle von der geliebten Großmutter eng beschrieben, auch deren Poesiealben und Tagebücher. Sie starb in ihrem 99. Lebensjahr. Hunderte Fotographien aus rund 100 Jahren. Statussymbole aus gutbürgerlichen Wohnzimmern, wie ölgemälde, teils hinter doppelten Wänden aus Spanplatten verborgen.

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Ein überdimensionales Portrait-Foto des „Alter Ego” lächelt von dem Fenster hinab in den übervollen Raum. Auseinandergenommen und hintereinander gelehnt, wirken die Wände eines übergroßen Kaninchenlaufstalles seltsam überflüssig - hier ist kein Einsperren mehr nötig. An den Wänden erinnern frühkindliche Kunstwerke von einer Kindheit in der Natur auf dem Lande.

Zwischen all‘ dem sind drei eigenständige Werke erkennbar:
- der babylonische Turm aus leeren Rotweinkisten, gefüllt mit Reliquien einer christlich katholischen Kindheit;
- eine Installation aus 12 (Anzahl der Jünger Christi) auf Augenhöhe hintereinander montierten Sprossenfenstern, die den Blick ins Freie ermöglichen müssten, der jedoch seltsam verschwommen bleibt;
- ein Triptychon, gleichsam ein Altar, ebenfalls aus alten Holzsprossenfenstern, zwischen deren Scheiben sich Christbaumkugeln spiegeln.

An der Endstation angelangt, am „Jüngsten Gericht”, wird ebenfalls alles sichtbar sein. Dann heißt es hinschauen in unsere tiefsten Tiefen und dunkelsten Schatten. Durch enge Gassen und auf krummen Wegen lohnt es sich, weiterzusuchen, den Weg ins Licht zu finden.Es gibt ihn, den Weg! Einen sehr engen roten „Tunnel“, einen Durchgang. Der unbeirrte Betrachter geht weiter ins Helle, Klingende, in den Duft der Klarheit. „Unruhig ist mein Herz, bis es ruht in Dir …“, sagt der heilige Augustinus.

Im „Auferstehungsraum” angekommen, kann man durchatmen. Ein heller, lichtdurchfluteter Altarraum mit Weihrauchfass, Weihwasserkrug und Gebetsbank lässt zur Ruhe kommen.

Sabine Neuhaus