GEWACHSENSehr geehrte Damen und Herren, in diesem majestätischen Raum begrüße ich Sie, um Sie in die Ausstellung von Sabine Neuhaus
einzuladen. In einer erstaunlichen Fülle begegne ich Sabine Neuhaus als einer Erzählerin, einer Deuterin von Schöpfung, von Existenz, Menschsein in unserem Universum. Die Welt, wie sie sie vorfindet, scheint sie oft - in Demut - staunen zu lassen. Sie nimmt gern den Faden ihres Dialogs mit der Naturwelt auf, bringt Zeugnisse der Umwelt nach Hause, spinnt den Faden künstlerisch weiter und läßt uns schließlich teilhaben an dieser so besonderen Art von Begegnung. Dinge, an denen die meisten von uns achtlos vorbeigehen, vermag sie wie einen Schatz zu sehen und
uns dann daran teilhaben zu lassen. Zwischen dem Finden und der heutigen Präsentation liegt dann allerdings meist eine lange Strecke der Auseinandersetzung: Abwarten und immer wieder schauen, erste Versuche einer ‚Bearbeitung‘, liegenlassen und später erneut aufnehmen, verwerfen ? nicht zu vergessen: Künstler sind erfahren in Prozessen des Scheiterns: „Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better“ - so brachte Samuel Beckett dieses Phänomen höchst präzise auf den Punkt! Der geduldige Weg des Abwarten-Könnens, des ‚Bebrütens‘ und allmählichen
Reifenlassens einer Formvorstellung mündet dann in Aktionen: Auch räumliche Veränderungen lassen Arbeiten in neuem Licht erscheinen. Das heißt also: Veränderung, Variation, Dynamik, der Prozeß, das sind wesentliche Begriffe ? und das in einem Gerichtsgebäude zu formulieren besitzt schon eine besondere Klangfarbe… Neben dem offenen Blick, dem experimentellen Furor, der Kraft und dem Mut zu Eingriffen und Umsetzungen geht die Künstlerin ebenso in kritische Distanz, reflektiert ihre Konzepte für Reihen von Arbeiten, macht sich Gedanken, welchen Platz ihre unterschiedlichen Arbeiten miteinander einnehmen. Der Blick ins kollegiale Lager ist ebenso wichtig. Das in der Haltung des Zufalls Entdeckte ? das ‚objet trouvé‘, wie es die Kunstgeschichte seit Duchamp zu Beginn des 20. Jhs nennt, wird zum Forschungsgegenstand. Die Kategorie des Zufalls gehört ebenfalls zu diesem Künstler Duchamp, wie auch zu Max Ernst - mit denen wir die Stilphase des Surrealismus verbinden. Seither hat es viele Entwicklungen in der Kunst gegeben und ein Kennzeichen aktueller Kunst ist das Bewußtsein des Verlusts von ursprünglichen Räumen. Sich mit Gefundenem, mit Fragmenten, verletzten und ausgesonderten Zeugnissen der uns umgebenden Natur zu beschäftigen, kommt neben dem neugierig-analytischen Aspekt auch einem heilenden gleich. Künstler wie Sabine Neuhaus holen uns heraus aus dem Wahn der formalen Perfektion, des Standards, der glatten Oberfläche, des seriell-Produzierten. Wir dürfen uns dem Einzelnen widmen. Ihre Arbeiten sind bis auf wenige sehr kleine Auflagen ? die Arbeiten überwiegend Unikate. Ihr Blick vermag es, der Grundform, dem Elementaren Raum und Gestalt zu geben: Leben und Tod, Mutter und Kind, der Schmerzensmann ? so betitelt sie einzelne Arbeiten. Die Liebe und Achtung, die dem Verworfenen hier zuteil wird, mag uns Betrachter berühren und uns Kraft geben, für unseren häufig aufreibenden und kraftzehrenden Alltag. Prof. Dr. Gabriele Oberreuter |