NATURGEMÄSS

Dieser Denkansatz fand sich nicht nur in den Gesprächen wieder, die ich mit Sabine Neuhaus im Vorfeld zu dieser Ausstellung führte, sondern er wird auch mit dem hier Gezeigten offensichtlich: Sie verwendet unterschiedliche Materialien, oft sind es Fundstücke, zumeist naturbelassen, die sie zu Weiterem inspirieren. Sie arbeitet plastisch, raumbezogen, aber auch flächig, malerisch. Wir sehen Holzschnitte, Siebdrucke oder beide Techniken kombiniert. Sie gestaltet, um das der Natur Innewohnende zu exponieren, ihre Experimentierfreude und Kreativität suchen das NATURGEMÄSSE, denn dort findet sich das für den Menschen Wesentliche wieder.

Arbeiten

Als Sie, liebe Besucher, die Galerieräume betreten haben, blickten Sie unwillkürlich auf eine Bronze. Was nahmen Sie wahr? Im Gegenlicht dominiert die Silhouette dieses Objektes, hatte es für Sie die Form einer abstrakten, ungegenständlichen Form oder spielten Sie gedanklich die Möglichkeit einer figürlichen Darstellung weiter, tänzerisch, schwebend?

Bei näherer Betrachtung verliert sich die phantasievolle kreative Deutung zunächst wieder, denn wir entdecken, dass der Ursprung dieser künstlerischen Arbeit ein Stück Holz sein könnte, ein Fundstück, in Wachs abgeformt und dann in Bronze gegossen. Ebenso im dritten, kleinen

Durchgangsraum eine gold patinierte Bronze, die den Titel Madonna trägt. Es hat einige Zeit gedauert, fünf Jahre, bis sich dieses Fundstück inhaltlich festigte: „Immer wieder habe ich es betrachtet, bis sich irgendwann dieses Bild in mir einstellte”, beschreibt Sabine Neuhaus den Prozess.

Sabine Neuhaus wählt ihren eigenen Weg mit den archaisch-skulpturalen Objekten, die sie der Natur für einige Zeit nimmt, um sie für den Menschen begreifbar und verständlich werden zu lassen. Dieser Prozess erfordert ein außerordentliches Maß an Respekt, ja Demut gegenüber dem, was die Natur offenbart. Und mit dieser Formulierung bin ich nicht weit von dem, nicht nur unsere europäische Kultur prägenden ursprünglichen Schöpfungsgedanken entfernt, als sinngebendes Motiv menschlicher Existenz.

Arbeiten

Als ein zentrales Motiv ihrer Arbeit betrachtet Sabine Neuhaus das menschliche Antlitz. Wir sind hier von Gesichtern umgeben. Ein „Wächterpaar”, der Grieche und der Kroate die Titel beziehen sich auf den jeweiligen Fundort der Steine haben uns eingelassen in diesen Raum, wo uns ein seltsames Raunen entgegendringt. Wir treffen auf eine große Menge von eher kleinen, kopfartigen Gebilden auf langen dünnen Stangen. Sind es offene Münder, undurchschaubare Augmale, die uns entgegenstarren? Ein Windzug würde die Gruppe leicht bewegen eine eigentümliche, ein wenig unangenehm klagende Atmosphäre durchdringt den Raum, insbesondere wenn man diesen Wesen allein gegenübersteht.

Es sind diese Gesichtspiktogramme, reduziert auf das Wesentliche des Ausdrucks, die sich auch auf den Graphiken, den Holzschnitten und Siebdrucken wiederfinden: LEBENSZEICHEN eben, Ausdrucksträger, die ihren Betrachter fordern. Bleibt er an der formalen, äußeren Erscheinung hängen, d.h. dominiert die intellektuelle Ebene der Wahrnehmung, bleibt die Substanz, die eigentliche Präsenz der Arbeit verborgen. Und damit kehren wir wieder an den Anfang meiner Ausführungen zurück, zu der Begegnung zwischen dem Kunstschaffenden in Form seiner künstlerischen Arbeit und dem Betrachter. Und mit den Werken von Sabine Neuhaus gilt es vielleicht noch ein wenig mehr als gewohnt, sich einzulassen auf den ruhigen Moment der Betrachtung und diese LEBENSZEICHEN individuell zu ergründen.

Dr. Susanne Conzen